Bei Rock am Ring Nachmittags um 17 Uhr ist für den Arsch, glaube ich.

Anders als bei Fragestunden mit kleinen Lokalbands aus Eifeldörfern, war ich von der Aussicht auf ein Interview mit den großartigen Bohren & der Club of Gore doch etwas eingeschüchtert. Da bleibt natürlich nichts, als sich gut vorzubereiten. Bei der Recherche zu Bohren hat Achim dann festgestellt, dass Interviews mit der Band wohl besonders gut funktionieren, wenn dabei Metal-Videos laufen. Nach längeren Graben habe ich zwar einige Tool-Videos auftreiben können, aber weil im Kneipenteil des Jakobshofs kein Videorekorder steht, fiel der ganze Plan flach und wir mussten darauf hoffen, dass allein unser natürlicher Charme die Band gesprächig macht. Charme war auch schon im Vorfeld nötig, denn die Bedienung musste dazu bewegt werden die Hintergrundmusik auszustellen. Nachdem das geschafft war und man alle Beteilgten mit Bier versorgt hatte, konnte es dann auch losgehen, wobei sich Christoph und Morten als wesentlich gesprächiger erwiesen, als die ereignislosen Songs von Bohren naheliegen.
Morten zündet eine Kerze an, um Stimmung zu schaffen und Christoph macht eine Bemerkung über Warsteiner.
B: Was ist das Lieblingsbier?
M: Köpi
B: Köpi? Auf beiden Seiten?
C: Ne, also ich find Köpi auch super – ich trink auch gerne Bitburger.
B: Bitburger ist hier in Aachen glaube ich so der Standard.
C: Jaja, ich weiß. Ich bin immer überrascht. Ich war mal öfters in Aachen und da waren hunderte von Leuten auf dem Europaplatz und haben Bitburger Flaschen in sich reingeschüttet. Unglaublich.
B: Also hier koexistieren Früh und Bitburger weitestgehend friedlich nebeneinander.
C: Ja, Kölsch mag ich nicht, ich bin zwar Kölner, mag aber komischerweise kein Kölsch. Ich trink lieber Pils, und Bitburger ist so ein Golf unter den Bieren.
B: Dann fangen wir mal an mit der Vorstellungsrunde. Wer seid ihr beiden und was macht ihr bei Bohren und dem Club of Gore?
M: Morten Gass – ich mach alles, bis auf Saxophon, Vibraphon und Schlagzeug spielen.
C: Ich bin Christoph Glöser. Ich mache auch alles außer Bass und Schlagzeug spielen.
B: Bohren gibts jetzt ja schon eine ganze Weile und es hat sich in der Zeit auch relativ viel verändert. Wie ist das so passiert – wie ist Bohren zur “langsamsten Band der Welt” geworden?
M: Das ist auch eine lange Entwicklung, zwischen jeder Platte liegen etwa 2 bis 3 Jahre. Aber langsam waren wir immer schon. Mal mehr, mal weniger.
A: Auch hinsichtlich Platten veröffentlichen.
C: Es gab ja praktisch zwei Hälften im Bohren-Leben. Ich bin erst seit 1996 dabei und die Band gibt es schon mindestens seit 1990. Vorher gab es auch schon zwei Plattenveröffentlichungen, aber nachdem ich eingestiegen bin, hatten wir Glück und haben eine andere Plattenfirma mit etwas professionelleren Strukturen gefunden. Wir sind dann öfters aufgetreten, so dass jetzt mehr Leute die Musik kennen und schätzen gelernt haben.
Auch früher gab es eine unglaublich große Resonanz, aber wirklich nur in einem so ganz eingeweihten Kreis. Das war ein sehr kleiner Zirkel und es wurde kaum live gespielt.
A: War das eindeutig einer Szene zuzuordnen damals?
M: Wir haben ja alles mögliche an Krach früher gemacht. Außer Christoph bin ich mit den Dreien seit 1988 zusammen und da haben wir alles Mögliche gemacht von Grindcore bis Doom.
C: Ich hab gestern noch mit einem Engländer telefoniert, der bei uns T-Shirts und CDs bestellt hat und noch wusste, dass Teile von uns 1989 in irgendeiner Grindcore-Metalband gespielt haben. Es ist immer wieder erstaunlich, wie oft man darauf angesprochen wird.
M: Man macht ja auch Platten so, dass sie einen roten Faden haben. Deswegen hören die sich dann vielleicht auch alle ein bisschen anders an. So gemixte Platten wollen wir halt nicht unbedingt machen.
A: Arbeitet ihr in der Zeit zwischen den Veröffentlichungen regelmäßig zusammen, oder ist das so, dass ihr euch sozusagen für eine Platte zusammenfindet?
C: Die Musik ist nicht nur langsam, wir arbeiten auch langsam. Möglicherweise muss man auch langsam arbeiten. Man denkt jetzt, so nach zweieinhalb Jahren kommt eine Platte, da treffen die sich ein halbes Jahr vor Veröffentlichung und hauen das raus. Das ist bei uns zumindest nicht so. Wenn eine Platte raus ist, so wie jetzt, dann fangen wir nicht direkt an, wie die Irren wieder an der nächsten zu arbeiten. Erstmal das Zeug schreiben – was jetzt schwerpunktmäßig von uns beiden erledigt wird – bis hin zu dem fertigen Produkt, das dauert auch. Auch das Aufnehmen, weil wir alles selber machen. Im Prinzip brauchen wir die anderthalb bis zwei Jahre, um uns das Material auszudenken und damit zu wachsen. Es ist jetzt nicht so, dass wir uns sagen: So, jetzt wieder Zeit für ne Platte und jetzt treffen wir uns und schreiben Songs. Die Songs bestehen ja teilweise nur aus einer Bassnote und vier Klaviernoten, das ist also nicht das Problem. Das Problem ist, daraus die berührende Musik zu machen die es manchmal hoffentlich ist.
B: Steht dann vor einem Album wirklich die konkrete Entscheidung, wie die Platte aussehen soll? Beim dem neuen Album finde ich zum Beispiel, dass es reduzierter ist. War das so geplant oder ergibt sich das so im Prozess?
M: Beides, finde ich.
C: Man weiß, man will eins machen, und man will das Niveau halten, was schon schwer ist bei dem dritten nach zwei guten – wie wir fanden sehr guten – Alben. Man hat eine Vorstellung, aber trotzdem – auf der Reise verändert sich natürlich Einiges. Lustigerweise ist oft der Titel fertig und es gibt bestimmte Sachen, die man sich vorher überlegt hat, wie bei dem letzten zum Beispiel, dass wir kein oder nur ganz wenig Saxophon benutzen. Aber andere Sachen kommen erst während man sich damit beschäftigt.
B: Das finde ich ein bisschen schade – ich mag Saxophon nämlich sehr gerne.
C: Das heißt ja auch nicht, dass wir Saxophon blöd finden, aber für uns war es wichtig, jetzt an der Stelle das Klangbild mal ein bisschen zu verändern.
B: Und da passt jetzt Vibraphon eher rein?
C: Das war erst gar nicht so klar geplant, weil wir erst keins hatten. Das hat sich so ergeben.
M: Wir wollten immer schon ein Vibraphon haben, das weiß ich noch.
C: Aber man ist so weit weg, man hat nicht so schnell ein Vibraphon – jetzt haben wir eins und da kann man sicherlich noch das eine oder andere Ding mit machen. Wir wollten jedenfalls nicht Black Earth noch mal machen. Was wir mit Black Earth gemacht haben, hätte man jetzt, glaube ich, nicht toppen können. Eigentlich wollten wir eine härtere und konsequentere Platte machen. Erst haben wir gesagt, wir machen so einen 60-Minuten-Klotz. Aber dann kam der Titel dazu und die Idee, die Finger so zu nennen, dann hat man schon mal eine Struktur. Auf einmal geht Eins zum Anderen, aber ist trotzdem ein Klotz. Jemand Kluges hat mal gesagt, Black Earth wäre so eine sinnliche Düsternis und das ist eine intellektuelle Düsternis.
A: Es klingt zumindest wie Jazz, was ihr macht, ihr benutzt Jazz-ähnliche Instrumente. Habt ihr auch einen Bezug zum Jazz in eurer Musik?
C: Die neue Platte klingt nicht wie Jazz.
A: Das stimmt.
C: Also vielleicht das letzte Stück, aber ich weiß was du meinst.
M: So ein bisschen. Zehn Prozent vielleicht.
A: Und in eurer Arbeitsweise. Trifft man sich dann und improvisiert?
C: Ja und nein. Im klassischen Sinne, dass wir uns treffen und dann losjammen, das geht gar nicht.
M: Man will halt das und das Instrument dafür verwenden, und dass sind dann halt zufällig Jazz-Instrumente.
C: Ersteinmal sind das ja alles liebliche Instrumente: Vibraphon, Saxophon ist ja jetzt auch nicht dafür bekannt, dass es Ärger macht. E-Piano ist ja auch so ein kutschi-kutschi Instrument. Aber trotzdem: bestimmte Sachen probiert man aus. Wenn man so will, von der Improvisation zur Komposition – wie es sein soll. Aber wenn es dann fertig ist, ist es fertig. Wir improvisieren nicht, wir machen die Stücke fest – wir sind verbindlich. Das unterscheidet uns vom Jazz. Wir spielen keine Improvisation mit einem Thema, und dazwischen geht es ab in den Weltraum. Das sind Stücke – die sind ein bisschen lang und man hört dann vielleicht nicht mehr, dass es ein Stück ist, aber es ist so gedacht.
B: Wie macht ihr das live mit dem Timing? Zählt ihr dann jeder für euch Zweiunddreißigstel?
C: Erstmal ist es immer gut, wenn man langsam zählt. Wenn man Zweiunddreißigstel zählt, wird man schneller. Man muss immer in großen Einheiten denken.
M: Je nach dem, manchmal guckst du so zum Schlagzeuger, und wenn der ausholt, ist man schon mal beruhigt, wenn man gerade selber auch ausholen will.
C: Es ist schwer, man muss sich konzentrieren. Durch Üben kann man viel erreichen. Darum ist es auch gut, wenn’s dunkel ist, wenn eine Diskokugel laufen würde und das wäre knapp neben dem Beat …
B: Ich hab auch gehört ihr habt vor einer Weile in Wien in einem Planetarium gespielt. War die Sternenprojektion dabei an?
C: Ja, das war super.
B: Gabs auch mal andersherum Veranstaltungsorte die, euch im Hellen haben spielen lassen?
A: Das letzte mal war’s hier ziemlich hell.
C: Aber es hat Spaß gemacht, das letzte Mal hier. Wenn es dunkel ist und da sind nur vier Notausgang-Dinger und ein Kühlschrank an der Bar, dann ist schon Feierabend. Ich hab es nicht so hell in Erinnerung, aber ich weiß noch, in England war’s mal hell, als wir in Brighton gespielt haben. Auf einmal kam man vom Essen, und dann hieß es: alles ist eine Stunde früher – und dann war es echt hell. Wenn es dunkel ist und die Leute sitzen, dann ist es einfach angenehmer, unsere Musik zu hören. Da passiert ja nichts, wir machen ja auch kein Theater auf der Bühne. Das geht ja auch nicht, da kommst du aus dem Takt. Wenn die Leute da sitzen und es ist ruhig, dann kann jeder seinen eigenen Film abfahren, das ist eigentlich ideal. Bei Rock am Ring Nachmittags um 17 Uhr ist für den Arsch, glaube ich.
B: Apropos Film. Beim Film Kombat 16 seid ihr auf dem Soundtrack vertreten. Könntet ihr auch vorstellen, mal eine komplette Score für einen Film zu machen, wie das The Notwist für Lichter getan haben?
C: Es ist halt schwierig, wir arbeiten langsam und teilweise sind wir berufstätig. Es ist zwar interessante Arbeit, aber man ist so beschäftigt …
M: Außerdem muss man sich da immer nach jemandem richten, das find ich so nervig. Wenn da einer sagen würde, macht mal die Musik und ich mach den Film dazu, da würde ich auch noch sagen: ok.
C: Und da kann ich aus eigener leidvoller Erfahrung sagen, das ist nicht so, und die Musik ist sehr stark. Die einzige Prämisse wäre wirklich, man hätte völlige Freiheit. Aber ein Film ist ein Film, und die Musik muss dem zuarbeiten.
A: Andersherum hat das ja ganz gut funktioniert mit dem Musikvideo von Mark Sikora. Wie kam da die Zusammenarbeit zustande?
M: Den Mark Sikora kennen wir auch aus alten Metal und Hardcore Zeiten. Der hat unter anderem auch mal für Napalm Death Cover gemalt.
B: Wusstet ihr, dass bei T-Online einen von euren Songs als Klingelton gibt?
C: Echt? Was heißt das? Wenn jemand angerufen wird, wird der mit Prowler angerufen?
M: Ja, dann hast du als Klingelton Prowler laufen.
C: Echt? Da merkste ja gar nicht viel von. Dauert ja ewig.
M: Ne, das fängt direkt mit dem Saxophon an. Eigentlich ne ganz flotte Nummer. Ist albern halt. Ich verdiene in etwa drei Euro Fünfzig im Jahr daran.
C: Durch vier?
M: Neenee, nicht durch vier. Kann man sich schon nen Bier von kaufen.
B: Die Band hat ihre Wurzeln ja in Mülheim, wo auch mit Helge Schneider ein besonderer Humor wächst. Manchmal hatte ich bei euren Shows das Gefühl, dass ihr davon auch ein Stück habt. Kennt ihr Helge Schneider?
C: Klar kennen wir den, finden wir auch gut. Einer der größten Musiker die ich kenne.
B: Habt ihr mal was zusammen gemacht?
C: Nee, ich glaub mit dem kann man gar nichts zusammen machen. Aber wir essen schon mal im selben Lokal.
B: Wo isst man in Mülheim?
M: Handelshof …
C: Vorsicht.
M: … und im Akropolis.
A: Apropos Leute kennen. Ich hab gelesen, dass ihr auf einer Gunter-Gabriel-Tribute-Compilation vertreten seid.
C: Das ist ein Missverständnis. Der Macher ist mit dem Namen von uns da ziemlich nachlässig umgegangen. Morten hat mit jemand anders einen Song auf diesem Sampler beigetragen. Wir haben vorher drüber geredet und er hat auch gefragt, ob wir das nicht unter Bohren machen können, aber wir haben gesagt “nee lass mal”. Dann hat er [der Compilation-Macher, Anm.] es trotzdem gemacht, was uns ein bisschen gewundert hat. Ich war auch erschrocken, als ich das gelesen hab.
M: Ich fands halt gut, weil man da mal mit Lokalmatadoren aus Mülheim auf einer Platte war. Das ist halt ein bisschen unglücklich gelaufen.
A: Teilweise auch ganz namhafte Leute vertreten auf der Platte, so wie Harald Sack Ziegler.
C: und die Ärzte…
M: Nene, die sind abgesprungen.
C: Zurecht. Der ist ja auch ein Idiot – ich weiß nicht warum eine Tribut-CD für diesen Redneck macht. Fandet ihr das komisch? Würde mich mal interessieren.
A: Also ich hätte euch da ehrlich gesagt nicht einsortiert. Ich glaube auch, dass Gunter Gabriel – naja, ich weiß nicht, ob man das so sagen kann – ein Arsch ist.
M: Jaja.
C: Keine Frage, definitiv ist das ein Arsch. Ich versteh auch nicht die ganzen Tribut-CDs für diese Ärsche. Auf der anderen Seite: was solls, besser als auf einer Sting-Compilation.
A: Ich bin so ein bisschen überrascht, dass ich euch jetzt hier in schwarz sehe. Ich dachte, es hätte irgendwie ein Imagewechsel stattgefunden. Alle Pressefotos waren in beige bis fliederfarben gehalten.
C: Wir sind ja jetzt privat hier.
A: Hat das was zu bedeuten, das es jetzt alles etwas heller aussieht?
C. Weiß ist das neue schwarz, würde ich mal sagen.
A: Ich dachte schon es läge daran, dass euch bei der letzten Platte ja viele Kritiken mit Metalbands verglichen haben.
C: Das stört uns überhaupt nicht.
M: Das hätten sie aber auch schon vor 15 Jahren machen können.
C: Es war ein schönes ästhetisches Cover und das ist jetzt auch ein schönes ästhetisches Cover. Sieht aus wie weiß, ist aber schwarz, und schwarz war ja auch weiß. Das ist nicht so einfach, wie man denkt.
B: Was habt ihr Halloween gemacht?
C: Ich hab gearbeitet.
M: Oh, da hab ich mich ganz furchtbar betrunken.
C: in Hannover gibts kein Halloween. Die machen einfach durch.
M: Ich hab auf Doro Pesch getanzt.
Wie war denn das Konzert? Letztes Mal in diesem Jazzclub hatten sie ja ganz schnell die Bässe ins Jenseits befördert.